Was ist gute Architektur?

Eine Disziplin im Wandel der Zeit.

Die Gestaltung des uns umgebenden Raumes beeinflusst unser tägliches Leben massiv und wird umso wichtiger, je knapper dieser Raum wird. Die Architektur ist die zentrale Disziplin, die sich mit dieser Aufgabe beschäftigt. Doch was ist eigentlich „gute“ Architektur? Neben der subjektiven Ebene, dem individuellen Empfinden für Ästhetik, das nicht zuletzt dem Zeitgeschmack unterliegt, werden an die Gestaltung von Wohngebäuden, öffentlichen Räumen oder Quartiersplätzen auch ganz objektive Anforderungen gestellt.

Werfen wir einen Blick auf die Messestadt Riem, die in den 1990er Jahren entwickelt wurde: Würde man das Stadtviertel heute neu planen, wäre die Bebauung wohl deutlich höher und vielleicht auch noch dichter. In den 1990er Jahren wollte man jedoch ein zweites monolithisches Großbauprojekt wie Neuperlach vermeiden, weshalb sich die Planer damals bewusst für niedrigere, flächendeckendere Strukturen entschieden. Heute liegen die Prioritäten stärker auf dem effizienten Umgang mit Flächen. Nicht nur, weil es in München und den meisten anderen Großstädten kaum noch unbebaute Grundstücke gibt. Sondern auch, weil der Zielkonflikt zwischen dem Bedarf an Wohnraum einerseits und der ökologischen Anforderung, weniger Fläche zu versiegeln und mehr Grün zu erhalten, gar nicht anders gelöst werden kann.

Wie sehr die Flächenknappheit Architekt*innen und Planer*innen zum Umdenken zwingt, zeigt zum Beispiel die neue Grundschule in München-Harlaching, die die MRG derzeit umsetzt. Hier, in unmittelbarer Nähe zum Klinikum Harlaching, gilt es auf beengtem Raum und kleinster Grundfläche die Anforderungen an einen zeitgemäßen Schulkomplex zu erfüllen. Deshalb entschied man sich in der Projektplanung für eine vertikale Gebäudestruktur, bei der u.a. der Pausenhof auf dem Dach untergebracht sein wird. In Zukunft werden vertikale Bauweisen voraussichtlich einen größeren Beitrag leisten müssen, um trotz minimalem Flächenangebot Platz für Wohnraum, aber auch für Infrastruktur zu schaffen. Allerdings gehen solche Lösungen auch mit Kompromissen einher: So muss etwa bei einer aktiven Dachflächennutzung auf die Installation von Photovoltaikanlagen verzichtet werden.

Die Frage, ob und wie weit in die Höhe gebaut werden darf und soll, wird ganz unterschiedlich beurteilt. Immer noch sind Hochbauten vielerorts unbeliebt und unerwünscht, obwohl die moderne Architektur versucht, sie nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch ansprechend zu gestalten. Abgestufte Höhen, abwechslungsreiche Kubaturen, begrünte Fassaden, einladende Dachterrassen und innovative Fassadenelemente können massive Baukörper optisch auflockern und für ein harmonisches Stadtbild sorgen. Ein Vorreiter dieser Philosophie ist der Bosco Verticale in Mailand, zwei Hochhaustürme, deren Fassaden mit Tausenden von Bäumen und Pflanzen bedeckt sind.

Ein ähnliches Beispiel aus München ist die geplante Bebauung des Paketposthallen-Areals. Hier sollen zwei Türme entstehen, deren Höhe im Zentrum des Areals liegen soll, während die Randbebauung niedriger bleibt, um das Viertel harmonisch in die Umgebung zu integrieren. Diese Staffelung der Höhen im städtischen Raum trägt dazu bei, das Gefühl von Überwältigung durch Hochhäuser zu vermeiden und schafft Übergänge zwischen den verschiedenen Stadtteilen. Bei der Bürgerbeteiligung wurde klar: Hier sollen auch ökologisch neue Standards gesetzt werden.

Im Arabellapark ist man schon einen Schritt weiter: Hier entsteht auf dem Gelände der ehemaligen Postfiliale derzeit das „Grüne Hochhaus“, Münchens grünstes Bauprojekt. Die Fertigstellung des 52 Meter hohen, 16-stöckigen Gebäudes mit rund 2000 Quadratmetern vertikaler Begrünung bis in die obersten Stockwerke ist für Mitte 2026 geplant. Im Gebäude entstehen sowohl Gewerbe- als auch Wohneinheiten mit großzügigen Dachgärten und Loggien​,Sharing-Modelle werden integriert. Die Hochschule Weihenstephan begleitet dieses zukunftsweisende Pilotprojekt zu wissenschaftlichen Forschungszecken.

Klar ist: Gebäude müssen nicht nur funktional und ästhetisch sein, sondern auch ökologische Anforderungen erfüllen. Nachhaltige Materialien, energieeffiziente Bauweisen und die Integration von erneuerbaren Energien sind unverzichtbar.

Auch der derzeit entstehende Siemens Campus in Erlangen ist ein Beispiel dafür. Als offener Stadtteil mit insgesamt 540.000 Quadratmetern Fläche steht der Campus für innovatives, nachhaltiges Bauen, die Verknüpfung von neuen Arbeitswelten und Leben in der Stadt, sowie Digitalisierung und Forschung. Sämtliche Neubauten werden mit moderner Gebäude- und Energietechnik ausgestattet. Außerdem wurde schon in der Planung auf minimale Flächenversiegelung geachtet. Andere Bestandteile des umfassenden Nachhaltigkeitskonzeptes sind Dach- und Fassadenbegrünungen oder Insektenhotels zum Erhalt der Biodiversität auf dem Campus.

Spannend im Hinblick auf die weitere Entwicklung unserer Städte kann auch der Blick nach Fernost sein. Die Architektur Singapurs etwa zeichnet sich durch eine Mischung aus traditioneller kolonialer Bauweise und modernen, futuristischen Designs aus. Auffällig sind vor allem die vertikalen Gärten und die Integration nachhaltiger Technologien in Gebäuden wie den "Supertrees" im Gardens by the Bay. Die Stadtplanung fördert eine enge Verzahnung von Natur und Urbanität, was sich in der zunehmenden Zahl von Grünflächen und begrünten Fassaden widerspiegelt.

Vertikale Begrünung und nachhaltige Technologien bieten auch in Europa großes Potenzial, um den städtischen Raumökologischer zu gestalten und die Lebensqualität zu erhöhen. Herausforderungen liegen aber in der Implementierung auf bereits dicht bebauten Flächen und in der Integration in historische Stadtbilder, die häufig strengen Denkmalschutzauflagen unterliegen.

Mit anderen Worten: Architektur steht in einem komplexen Spannungsfeld aus Funktionalität, Ästhetik, Nachhaltigkeit, kulturellem Kontext und Ressourcenschonung. Projekte wie die Grundschule in Harlaching, das Grüne Hochhaus im Arabellapark oder das Bosco Verticale in Mailand zeigen, dass intelligente Lösungen bereits existieren und Architektur einen wichtigen Beitrag zu einem nachhaltigen und lebenswerten urbanen Umfeld leisten kann. Die Realisierung neuer Quartiere, etwa in Neufreimann oder im Münchner Nordosten, muss sich an diesen Maßstäben messen lassen.

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